Winterreise nach Estland
Im Bauernhof bei Mooska in der Nähe des Suur Munamägi findet ein Saunaseminar statt. Das klingt ernster, als es ist, und heißt einfach: ausziehen, hinsetzen, schwitzen. Sechs Stunden wird die traditionelle Rauchsauna vorgeheizt; weil sie keinen Kamin hat, bleibt der Rauch drinnen. Dann wird die Tür geöffnet, der Rauch verschwindet, und die Saunagänger treten ein, in diesem Fall die Saunabetreiberin und ich. Sie klärt mich auf: Wer sich mit Birkenzweigen auf Rücken und Schenkel schlägt, fördert die Durchblutung, Schläge mit Lindenzweigen stärken das Immunsystem, und Wacholderzweige – aua – öffnen die Poren. Dann reicht sie mir Seesalz fürs Peeling und Honig, der die Haut samtig macht, und schüttet literweise Wasser auf den Ofen, bis ich es nicht mehr aushalte. Klatschnass flüchte ich nach draußen, greife mir eine Handvoll Schnee und reibe mich damit ab.
Schneeschuhsafari:
Der Täter hat eindeutige Spuren hinterlassen. Rund ums Opfer, ein totes Reh, haben sich seine Pfoten und Krallen in den Schnee geprägt. “Das war ein Luchs”, sagt der Tourenführer Bert Rähni, der mit mir auf Schneeschuhen durch den Wald stapft. Wir sind schon früh am Morgen hinausgefahren, haben die mit Pulverschnee bedeckte Hauptstadt Tallinn hinter uns gelassen und sind in eine Landschaft eingetaucht, die sich im Winter mit den estnischen Nationalfarben Blau-Schwarz-Weiß schmückt: ein wolkenloser Himmel und dunkle Bäume voller glitzerndem Schnee. Im Linnuraba, einem etwa 34 Quadratkilometer großen Naturschutzgebiet rund eine Autostunde südlich von Tallinn, beginnt unsere Schneeschuhsafari. Im Winter lässt sich besonders gut beobachten, welche Tiere hier leben: Wildschweine, Elche, Rehe, Wölfe, Rotwild, Flughörnchen, Schneehasen, Luchse und schlafende Bären – keiner streift spurlos durch den Wald oder übers Hochmoor. Die meisten Fährten hätte ich ohne Führer allerdings übersehen: winzige Abdrücke von Haselhühnern, die wie die Löcher wirken, die Tautropfen im Schnee hinterlassen; eine breite Schleifspur von Wildschweinen, die mit ihren kurzen Beinen und einem Gewicht von rund 150 Kilogramm tief im Schnee versinken und mit dem Bauch alle Spuren ihrer Spalthufe verwischen; eine schnurgerade Linie entpuppt sich als Fährte eines Fuchses, der beim Laufen einen Fuß hinter dem anderen aufsetzt.
Während wir über das Hochmoor stapfen, erzählt Bert von balzenden Birkhühnern und heulenden Wölfen. Nahe am Waldrand kreuzen kuchentellergroße, tief eingesunkene Spuren unseren Weg, die sogar ich dechiffrieren kann. “Ein Elch?”, frage ich. Bert nickt.
(Bert Rähni, Tel. 00372-513 71 41 oder 00372-55 55 87 55, www.360.ee ; individuelle Halbtagestour inklusive Verpflegung und Transfer ab Tallin 284 Euro, Gruppentouren 30 Euro pro Person.)
Tretschlittenfahrt/Eisangeln:
Auf der Fahrt in den Nationalpark Soomaa im Südwesten Estlands sehe ich Menschen, die auf Tretschlitten von Dorf zu Dorf ziehen. Bei Aivar Ruukel, einem Outdoor-Anbieter im Nationalpark, kann ich sie ausprobieren. Der Schlitten hat ein Gestell in Metallicblau, Plastikkufen und einen gebogenen Lenker. Ich stelle den linken Fuß auf eine Kufe, stoße mich ab und gleite hinter Aivar her, vorbei an gelben Holzhäuschen. Am Ufer eines schneebedeckten Flusses wartet Aivars Vater Ain – mit einer Angel und etwas, das aussieht wie ein überdimensionaler Korkenzieher: ein Eisbohrer. Knirschend schraubt er sich durchs Eis, bis gelbliches Wasser hervorgluckert. Hechte, Flussbarsche und Rotfedern sollen sich hier tummeln. Ich warte, angle, warte. Kein Fang gelingt, hungern muss ich aber nicht. In dem Blockhaus, in dem ich die Nacht verbringe, wurde bereits aufgetischt und der Kamin angefeuert.
(Aivar Ruukel bietet diverse Wintersport-Touren an: Tel. 00372-506 18 96, www.soomaa.com ; Tagestrip ab 2 Personen ab 50 Euro. Riisa Rantso vermietet Blockhäuschen mit Sauna, auf Wunsch mit Verpflegung: Tel. 00372-56 69 42 70, www.riisarantso.ee ; ab 39 Euro.)
Snowtubing:
Im Süden liegt Otepää, eine von 2190 Menschen bewohnte Stadt, die die Esten “Winterhauptstadt” nennen. Immerhin: Es gibt mehr als ein Dutzend Hotels, Cafés und Skiverleiher. Und die “Schweiz des Baltikums” ist das sicherste Schneegebiet der Region. Berge, die gerade mal 300 Meter erreichen, sind zwar kein Paradies für Alpinisten, machen aber Langläufer glücklich. Von einem Hügel im Stadtzentrum schallt Kreischen herüber: Kinder sausen auf Reifen einen Hügel runter. Snowtubing funktioniert wie Rodeln – mit dem Unterschied, dass der Reifen sich um die eigene Achse dreht, während er rasant den Hügel abwärts rutscht. Ich hocke mich in das Loch in der Mitte und lasse meine Arme und Beine baumeln. Das Gefährt kreiselt, rückwärts fliege ich über einen Huppel. Unten angekommen, will ich nur noch eins: Noch mal!
(Übernachten: etwa in den Apartments des GMP Clubhotels, Tennisevälja 1, Tel. 00372-501 05 04, www.clubhotel.ee ; ab 115 Euro.)
Hundeschlitten-Tour:
In Haanjamaa bekomme ich Gesellschaft von Bomse und Daron, zwei Schlittenhunden. Zusammen erkunden wir die Gegend rund um den höchsten Berg des Landes, den 318 Meter hohen Suur Munamägi. Kaum lockere ich die Leinen, rasen die beiden los. Wind pfeift mir um die Ohren, die Landschaft fliegt vorbei. Gerade denke ich, dass das die beste Winteraktivität bislang ist, da höre ich ein Bellen, das von einem Hof herüberdringt. Bomse und Daron machen mitten im Lauf eine scharfe Rechtskurve. Der Schlitten kommt ins Schleudern, und ich lande weich in einem Schneehaufen. Schwanzwedelnd kommen die beiden vom Besuch beim Hofhund zurück. Und ich mache es wie ein Reiter, der vom Pferd gefallen ist: Gleich wieder rauf, und weiter geht’s.
(Skylinedog, Tel. mobil 00372-523 38 48 ; Anfrage auf Englisch per E-Mail: pille.saarnits@gmail.com ; Hundeschlittenfahrt ab 10 Euro.)
Rauchsauna:
Im Bauernhof bei Mooska in der Nähe des Suur Munamägi findet ein Saunaseminar statt. Das klingt ernster, als es ist, und heißt einfach: ausziehen, hinsetzen, schwitzen. Sechs Stunden wird die traditionelle Rauchsauna vorgeheizt; weil sie keinen Kamin hat, bleibt der Rauch drinnen. Dann wird die Tür geöffnet, der Rauch verschwindet, und die Saunagänger treten ein, in diesem Fall die Saunabetreiberin und ich. Sie klärt mich auf: Wer sich mit Birkenzweigen auf Rücken und Schenkel schlägt, fördert die Durchblutung, Schläge mit Lindenzweigen stärken das Immunsystem, und Wacholderzweige – aua – öffnen die Poren. Dann reicht sie mir Seesalz fürs Peeling und Honig, der die Haut samtig macht, und schüttet literweise Wasser auf den Ofen, bis ich es nicht mehr aushalte. Klatschnass flüchte ich nach draußen, greife mir eine Handvoll Schnee und reibe mich damit ab.
(Tel. 00372-503 23 41, www.mooska.eu ; Übernachten: im Ferienhaus Vällamäe im Dorf Simula, Tel. 00372-522 67 78, vallamaetalu@gmail.com ; DZ ab 60 Euro inkl. Sauna.)
Anreise:
Mit Lufthansa, Estonian Air oder Ryanair nach Tallinn. Weitere Infos: www.visitestonia.com/de ; Inlandsverbindungen: www.bussireisid.ee und www.edel.ee
Quelle: GEO.de Artikel vom 23.11.2011